Dienstag, 25. Mai 2010

UNMIK oder Dr. Memmingers (Un-)Ruhestand im Kosovo


Eine Reportage über einen deutschen Richter und dessen Erfahrungen als Mitarbeiter bei der internationalen Friedensmission im Kosovo. Geschrieben für meine Bewerbung um ein Redaktionsvolontariat beim MDR.

Platsch.

Braune Spritzer zieren Herrn Dr. Memmingers perfekt gebügelten Anzug bis zum Knie. Der bullige Jeep, der durch ein fußtiefes Schlagloch gebraust ist und dabei das schlammige Wasser von der Straße auf den Gehweg befördert hat, ist schon hinter der nächsten Abbiegung verschwunden. Die Straßen der Hauptstadt des Kosovo gleichen eher einem Schweizer Käse als perfekt asphaltierten Fortbewegungswegen. Auch ich hüpfe mit meinen schwarzen Lack High-Heels von einer Insel intakten Straßenbelags zur nächsten.

Aber da erreichen wir auch schon Herrn Dr. Memmingers Arbeitsplatz: Mitten in Prishtinas Innenstadt, verschanzt hinter Stacheldraht, befindet sich das Gebäude der UN. Über dem grauen und unzugänglich wirkenden Betonbau prangt der Name der Mission, die den Kosovo die letzten zehn Jahre verwaltet hat, in mannshohen Plastiklettern: UNMIK. Diese sperrige Abkürzung steht für die noch immer fehlende staatliche Souveränität des Kosovo.
Die Anwesenheit von Herrn Dr. Memminger, ehemaliger Thüringischer Oberrichter im Ruhestand, ist nur ein weiteres, beredtes Zeichen dafür.
Im Gebäude grüßen uns unpersönlich sterile, frisch gebonerte Flure. Erst nach einer Tour durch das ganze Gebäude erreichen wir den kleinen Konferenzraum. Auch dieser zeigt sich ohne unnötigen dekoratorischen Schnick-Schnack. Nur eine zierliche, tunikabewandete Frauenfigur mit Wage in der Hand und kryptischem Blick verrät, was sich hier in diesem Gebäude abspielt.

Herr Dr. Memminger ist hier im Kosovo, um dem jüngsten Staat in Europa Rechtstaatlichkeit zu bringen. Im Jahr 2002 hat er sich freiwillig für die UN Mission im Kosovo verpflichtet. Da hatte er gerade sein 65. Lebensjahr vollendet und damit seinen verdienten Ruhestand erreicht. „Ich konnte mir aber einfach noch nicht vorstellen, mich an einem netten Ort zur Ruhe zu setzen. Ich war ja mein ganzes Leben lang aktiv, habe immer neue Herausforderungen gesucht. Als junger Jurastudent wollte ich eigentlich in den diplomatischen Dienst gehen. Der war aber damals noch allen verschlossen, die kein „von“ in ihrem Namen trugen, ein adeliges Refugium sozusagen. Deshalb wurde ich Richter. Nach meinem Ruhestand wurde ich dann vom Auswärtigen Amt gefragt, ob ich nicht helfen wollte, Rechtstaatlichkeit im Kosovo aufzubauen“.

Und hier in diesem unauffälligen Raum passiert genau das. Indem Herr Dr. Memminger die einheimischen Richter, vor deren lebenslangen Berufung auf ihre Integrität und Kompetenz prüft, versucht er den Kosovaren eine unabhängige Richterschaft zu geben. Das ist auch bitter nötig, werden doch viele richterliche Urteile im Kosovo aus ethnischer Loyalität oder durch die Einwirkung machtvoller Strippenzieher aus den Reihen der ehemaligen „Befreiungsorganisation“ UCK gefällt.

Ein hochgewachsener, schlecht rasierter dabei aber natürliche Autorität ausstrahlender kosovo-albanischer Richter betritt nun den Raum. Ist Richter Ardem Coli, der mit einem zurückhaltenden Lächeln die drei internationalen Berufskollegen begrüßt, einer jener Richter die durch äußeren Druck oder ethnische Animositäten parteiische Urteile gefällt haben? Hier in diesem spartanischen Raum wird er nun eine Stunde lang seine Integrität verteidigen müssen, um weiter als Diener der Justitia tätig sein zu dürfen. 12 Fragen wurden dafür erarbeitet. Dr. Memminger stellt sie nacheinander auf Englisch - die in einer Glaskabine sitzenden Dolmetscher übersetzen ins Albanische. Mit unbeweglicher Mine antwortet Richter Coli auch auf sensible Fragen zu seiner Vergangenheit: War er Mitglied bei der UCK? Was hat er in den 90er Jahren gemacht, als die Serben alle im öffentlichen Dienst angestellten Albaner aus ihren Posten entfernten? Nichts ist zu heikel, um gefragt zu werden.

Dann ist die Prozedur auch schon zu Ende. Herr Coli ist für heute entlassen, die Entscheidung, ob er für Lebenszeit als Richter ernannt werden wird, wird erst später endgültig gefällt. Herr Coli verabschiedet sich knapp und ohne die Mundwinkel zu verziehen. Erst da meine ich, aus seiner Mimik einen gewissen Widerwillen herauslesen zu können. Denkt er genauso wie die Tageszeitungen hier, die zunehmend die internationalen Präsenzen und ihre Vollmachten als kolonialistisch und uneffektiv kritisieren?

„Die großen Tageszeitungen schreiben, dass sich die ausländischen Berater hier zwar eine goldene Nase verdienen, dabei aber nichts gegen die großen Probleme des Kosovo ausrichten. Ich dagegen sehe, wie hart wir ausländischen Richter arbeiten. Aber wegen fehlendem Justizpersonal, undurchsichtigen Rechtsverhältnissen und langen Prozesszeiten kommen diese Anstrengungen oft nicht bei der Bevölkerung an. Manchmal ist das alles schon entmutigend. Dann denke ich daran, mich ins idyllische Niederbayern zurückzuziehen, wo meine Frau ein Haus auf einem Felsvorsprung an der Donau besitzt“. Dr. Memminger seufzt und man sieht ihm an, dass er schwankt zwischen dem Idealismus, der ihn hergebracht hat und der ihm immer noch sagt, dass er hier viel zum Aufbau einer neuen Gesellschaft beitragen kann. Auf der anderen Seite steht aber die Befürchtung, dass seinen Anstrengungen keine adäquate Verbesserung der Verhältnisse hier gegenübersteht. Besonders in dieser Stimmung träumt er dann davon, daheim im Chor der Kantorei mitzusingen und sich seiner Sammlung seltener Bücher zu widmen.

Jetzt wird er aber erst einmal seinen bespritzten Anzug zum Reinigen bringen. Lang wird es nicht mehr dauern, bis er endgültig zurückkehrt, nach Deutschland, wo nicht nur der Straßenbelag effizient verlegt ist und nicht nur die Straßenverhältnisse gut geordnet sind.

Prishtinas Betonwüste, eine 10er Mädels WG und das Heimweh, das keine Chance hat


Das vorherige Mal habe ich über die Gegensätze geschrieben, die das heutige Kosovo prägen und die mich schon letztes Jahr bei meinem Besuch in der ehemaligen Unruheprovinz beeindruckt haben.

Die Verehrung von UCK Kämpfern als Kriegshelden bei gleichzeitiger Weltoffenheit und Aufgeschlossenheit der jüngsten Nation in Europa, das gibt es nur hier.

Aber an all dies denke ich nicht, als wir mit dem Auto im Kosovo ankommen. Die ganze Nacht sind wir über abwechselnd deutschen, österreichischen, ungarischen und serbischen Autobahnasphalt gebraust. Am Abend noch im frühlingshaften Niederbayern, sind wir nun, 13 Stunden und hunderte Kilometer später, im Kosovo, im Herzen des Balkans angekommen.

Die Straßen wurden dabei immer schlechter, die Schrift auf den Straßenschildern immer fremdländischer, die  Straßenränder immer vermüllter und die Grenzbeamten immer korrupter (an der ungarisch-serbischen Grenze mussten wir dem grimmigen Grenzbeamten unauffällig einen Fünfer zustecken, sonst hätte er unser voll bepacktes Auto gefilzt).

Im Kosovo geht eine verstreute Ansammlung von unverputzten, neugebauten Häusern ohne erkennbare Abgrenzung über in die nächste Siedlung. So bemerke ich fast gar nicht, als wir die Hauptstadt des Kosovo erreichen. Prishtina grüßt uns als eine mit Staub bedeckte chaotische Betonwüste. Autowaschanlagen, neben Klamottenläden, daneben stehen Obsthändler auf dem Gehsteig- wer deutsche Raumordnung gewohnt ist, verzweifelt an dem ungeordneten Drunter und Drüber in der Hauptstadt des Kosovo.

Auch die Aussicht, meine ersten Nächte in einem billigen Guesthouse zu verbringen, ist meiner Laune nicht zuträglich. Worauf habe ich mich da eingelassen? Bis August soll ich in dieser tristen, dabei aber verwirrend ungeordneten Betonwüste bleiben? Im Vergleich kommt mir das heimische Niederbayern, wo gerade der Frühling Einzug hält, besonders idyllisch vor.

Aber schon in meinen ersten Stunden im Kosovo fesseln mich wieder die faszinierenden Gegensätze im Kosovo und halten mich von melancholischen Heimwehgedanken ab.

Zunächst die unglaubliche Gastfreundschaft und Aufgeschlossenheit der Kosovaren: Kaum sind wir angekommen, lädt mich Ariana, eine kosovo-albanische Studentin ein, die ersten Tage in ihrer 10er Mädels WG zu bleiben. Sie wohnt in einem in knalligen Tönen gestrichenen Neubau in Beton-Fertigbauweise. In ihrer Wohnküche, die gleichzeitig der Schlafraum für Ariana und ihre Freundin Flanca ist, sind wir damit schon zu dritt. Beide sprechen nicht nur fließend Deutsch, von dem sie behaupten, dass sie es nur durch deutsches Fernsehen gelernt haben. Auch das Englisch der beiden ist wie aus einem Hollywood Film geklaut- ohne Akzent bekommen sie den amerikanischen Singsang hin. Ich dagegen komme mir mit meinem Benglisch (halb Bayerisch, halb Englisch) schon beinahe hinterwäldlerisch vor.

Im merkwürdigen Gegensatz zu diesen aufgeschlossenen, in den Weltsprachen bewanderten Studentinnen, steht die unzureichende Energie- und Wasserversorgung in der ehemaligen serbischen Provinz, die an ein Dritte-Welt-Land erinnert. Da die Zahlungsmoral der Kosovaren sehr zu wünschen übrig lässt, schaltet die staatliche Energiebehörde in manchen Stadtteilen schon mal den Strom ab. Duschen muss ich deshalb in dem fensterlosen Bad im schummrigen Kerzenlicht. Auch gibt es nur kaltes Wasser. Immerhin, denn ab 23:00 Uhr wird täglich die gesamte Wasserversorgung in der Hauptstadt abgestellt.

Die Gastfreundschaft und Weltläufigkeit der jungen Studentinnen auf der einen Seite und  die infrastrukturellen Einschränkungen auf der anderen, vor lauter Eindrücken habe ich doch glatt schon am ersten Tag mein Heimweh vergessen.



Kriegshelden, die EU und High Heels- das Kosovo heute




Kosovo? Da war doch was. Ach ja: Dort führte die NATO im Jahr 1999 zum ersten Mal Krieg.


Gegen Serbien, das gegen die Provokationen der albanischen Unabhängigkeitsorganisation UCK mit unverhältnismäßigen Vergeltungsschlägen gegen die kosovo-albanische Zivilbevölkerung vorging. Man hat vielleicht noch die langen Flüchtlingstrails bestehend aus langberockten, kopftuchtragenden Frauen im Kopf, die vor den Schärgen der Milosevic Regierung aus ihrer Heimat flohen. Auch daran, dass dieser erste Kriegseinsatz der Bundeswehr beinahe die rot-grüne Koalition unter Kanzler Schröder gesprengt hätte, erinnert man sich vielleicht noch dunkel.


Danach wurde es aber ruhig um die Unruheprovinz im Herzen des Balkans. Wer weiß schon, dass im Süden des Kosovo immer noch 3000 deutsche Soldaten patroullieren und durch ihre Präsenz erneute Übergriffe der ehemaligen Kriegsparteien verhindern sollen?

Dabei lohnt es sich, das seit 2008 unabhängige Land näher zu betrachten. Auch darum, weil vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Afghanistan folgende Frage höchst aktuell erscheint: Ist es möglich, durch internationale Missionen nachhaltigen Frieden in einem Kriegsgebiet zu schaffen? Konnte also durch die ungeheuren finanziellen Mittel der EU und die gewaltige Menge an internationalen Einsatzkräften eine funktionsfähige Demokratie im Kosovo etabliert und die Kriegsparteien miteinander versöhnt werden?

Auch um diese Fragen zu beantworten, bin ich nun im Kosovo- als Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert Stiftung in Prishtina. Aber auch meine Abschlussarbeit an der Uni Regensburg drehte sich schon um diese höchst aktuellen Fragen. Um sie zu beantworten, wollte ich aber nicht nur in studentischer Manier Bücher wälzen. Ich wollte mir auch die Meinung der betroffenen Kosovaren selber anhören und ging deshalb letzten Sommer schon ins Kosovo. Meine Interviews in der ehemaligen serbischen Provinz und meine Erfahrungen dort verarbeitete ich dann zu einem Dokumentarfilm. Dieser trägt den Titel: „Kriegshelden, die EU und HighHeels- was ich fand auf der Suche nach dem Frieden im Kosovo“.

Warum dieser Titel - Kriegshelden, die EU und HighHeels - Begriffe, die unzusammenhängend ja sogar unvereinbar erscheinen?

Es sind die krassen Gegensätze, die ich hier im Kosovo erlebe, die mich zu diesem Titel inspirierten: Zum einen die Omnipräsenz der Kriegshelden: An fast jeder Straßenecke des mehrheitlich von Albanern bewohnten Kosovo stehen Statuen von getöteten Kämpfern der UCK. Immer in martialischer Postur und plastikblumenbekränzt, werden sie hier als Freiheitskämpfer verehrt.

Auf der anderen Seite sehen sich die Kosovaren aber als jüngste europäische Nation und die EU als ihre politische Zukunft.

Warum aber die HighHeels mögen sich nun manche Leser fragen. Trotz geschätzten 50 Prozent Arbeitslosigkeit und der prekären wirtschaftlichen Situation des Landes, habe ich im Alltag selten soviel Glamour erlebt: Prishtinas Straßen sind voll von schlanken jungen Frauen, bekleidet mit adretten Kostümen oder sexy Miniröcken. Das unvermeidliche Accessoire dazu: HighHeels. Ein hervorstechender Gegensatz zum schlichten, unaufgeregten Kleidungsstil in Deutschland.

Hier in diesem Land der Gegensätze werde ich mich nun bis Ende August aufhalten. Ich werde als Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert Stiftung in Prishtina mithelfen, Veranstaltungen zu Themen wie Medienfreiheit oder Gleichberechtigung der Geschlechter zu organisieren. Daneben werde ich meine Erfahrungen jede zweite Woche für den Dingolfinger Anzeiger aufschreiben. Damit das Kosovo wieder ein Thema in deutschen Wohnzimmern wird- wenn auch vorerst nur in Dingolfing.